Das Orchester spielt weiter, während die Decks brennen
Warum die Katastrophe nicht kommt. Sondern schon da ist.
Die Bilder flimmern über die Bildschirme, Tag für Tag: Brände, die ganze Landstriche verschlingen; Fluten, die Städte in Schlammwüsten verwandeln; Stürme, die mit beispielloser Wucht zuschlagen. Und jedes Mal hören wir das gleiche Mantra: "beispiellose Naturkatastrophe", "Weckruf", "wir müssen handeln". Ein müdes Lächeln ist das Mindeste, was man darauf erwidern kann. Denn wer noch von isolierten "Katastrophen" spricht, hat den Schuss nicht gehört – oder will ihn nicht hören. Was wir erleben, sind keine einzelnen Unglücke. Es sind die deutlich sichtbaren Symptome eines Systems im Endstadium seines Versagens, die Zuckungen eines Organismus, der an seiner eigenen Unersättlichkeit erstickt.
Der perfekte Sturm: Wenn alle Dämme brechen
Vergessen Sie die Idee, die Klimakrise sei das einzige Problem. Sie ist nur der sichtbarste Riss im Fundament eines Kartenhauses, das an allen Ecken und Enden bröckelt. Was wir erleben, ist eine fatale Konvergenz:
* Die ökologische Zerstörung geht weit über das Klima hinaus – Artensterben, zerstörte Böden, vergiftete Ozeane. Wir sägen am Ast, auf dem wir sitzen, mit bemerkenswerter Präzision.
* Die Ressourcenerschöpfung wird immer spürbarer. Die Ära des billigen Öls, der leicht zugänglichen Metalle, des unbegrenzten Wassers – sie geht zu Ende. Aber unser Wirtschaftssystem basiert auf ewigem Wachstum und unendlichem Nachschub. Ein mathematischer Witz, der bald nicht mehr lustig ist.
* Die politische Handlungsunfähigkeit ist global manifest. Nationale Egoismen, Lobbyismus, kurzfristiges Denken und die Unfähigkeit, globale Probleme global zu lösen, lähmen jedes System. Die Politik verwaltet den Mangel und den Niedergang, statt ihn zu gestalten.
* Soziale Spannungen nehmen zu, genährt durch Ungleichheit, Zukunftsangst und den Kampf um die schwindenden Reste des Kuchens.
Diese Krisen sind nicht getrennt. Sie befeuern sich gegenseitig in einem Teufelskreis, einem negativen Feedback-Loop, der unaufhaltsam an Fahrt gewinnt. Die "Naturkatastrophen" sind nur die Fieberschübe dieses kranken Systems.
Kein Notausgang: Die Falle des geschlossenen Systems
Früher, wenn der Druck zu groß wurde – durch Kriege, Hungersnöte, Überbevölkerung – gab es immerhin die Illusion eines Auswegs. Man wanderte aus, kolonisierte "neue" Welten (meist auf Kosten anderer), fand scheinbar unberührte Ressourcen. Diese Option existiert nicht mehr. Der Planet ist voll, kartografiert, beansprucht. Es gibt kein "Weg" mehr. Wir sitzen alle im selben Druckkochtopf, und der Deckel ist fest verschlossen. Jeder Versuch, den Druck zu ignorieren oder nur kosmetisch zu behandeln, erhöht die Wahrscheinlichkeit einer explosiven Dekompression – eines unkontrollierten Zusammenbruchs.
Die gefährliche Illusion der "Lösungen": Willkommen im Theater des Absurden
Und was tun wir? Wir ergehen uns in Scheinlösungen, die das Problem bestenfalls verschleiern, schlimmstenfalls verschlimmern. Hier kommt die Perspektive ins Spiel, die man als "dekonstruierten Realismus" bezeichnen könnte: Man sieht die harte, oft brutale Realität, die durch politische oder wirtschaftliche "Sachzwänge" verschleiert wird. Der "Realist" in uns nickt vielleicht noch müde, wenn von CO2-Zertifikaten die Rede ist – ein cleverer Trick, um Emissionen auf dem Papier zu verschieben, während der Schornstein weiter raucht. Oder wenn Recycling und "grüne Effizienz" als Allheilmittel gepriesen werden.
Der "dekonstruierte Realist" aber schaut auf die nackten Zahlen, die Physik, die Ökologie: Deutschland (und ähnliche Industrienationen) verbraucht Ressourcen im Gegenwert von drei Planeten. Die eigentliche, physikalisch notwendige Lösung wäre nicht, den Müll etwas besser zu trennen, sondern den Verbrauch um zwei Drittel zu senken. Das ist unbequem, "schmerzhaft", politisch undenkbar – aber es ist die Wahrheit, die sich aus den Fakten ergibt. Alles andere ist Augenwischerei. Emissionshandel, Effizienz ohne absolute Reduktion, "grünes Wachstum" – das sind Beruhigungspillen für eine Gesellschaft, die nicht wahrhaben will, dass die Party vorbei ist. Sie sind Instrumente, um den fundamentalen Widerspruch zwischen unendlichem Wachstum und einem endlichen Planeten zu kaschieren.
Moral als Bremse: Wenn Mitgefühl den Weg in den Abgrund ebnet
Und warum tun wir nicht, was notwendig wäre? Hier wird es besonders zynisch. Wir berufen uns auf "Moral" und "Mitgefühl". Niemand könne doch ernsthaft fordern, den Lebensstandard drastisch zu senken, Arbeitsplätze zu gefährden, das System radikal umzubauen – das wäre ja unmenschlich! Dieses Argument, vorgebracht mit ernster Miene, ist die vielleicht größte moralische Bankrotterklärung unserer Zeit.
Denn was ist das für eine Moral, die kurzfristigen Komfort und die Vermeidung von (zugegeben schmerzhaften) Anpassungen über das langfristige Überleben stellt? Was ist das für ein Mitgefühl, das sich auf die Gegenwart konzentriert, aber die absehbare Katastrophe für kommende Generationen und den Rest der Biosphäre billigend in Kauf nimmt? Dieses Festhalten am Status quo, getarnt als Mitgefühl, ist in Wahrheit eine Mischung aus Feigheit, Bequemlichkeit und der Unfähigkeit, der Realität ins Auge zu sehen. Es verhindert die notwendigen, harten Einschnitte und garantiert damit, dass der Zusammenbruch umso unkontrollierter und brutaler erfolgen wird.
Die falschen Götter: Techno-Optimismus und andere Märchen
Ach ja, und dann sind da noch die Märchenerzähler. Diejenigen, die uns von der Kernfusion, von riesigen CO2-Staubsaugern oder der künstlichen Intelligenz erzählen, die uns schon irgendwie retten wird. Technologie als Deus ex Machina. Es ist das gleiche naive Wunschdenken, das uns erst in diese Lage gebracht hat – der Glaube, wir könnten uns mit immer mehr Komplexität und Energieaufwand aus den Problemen heraus-technologisieren, die wir selbst geschaffen haben. Diese Heilsversprechen sind nichts weiter als Ablenkungsmanöver, die uns davon abhalten, die grundlegenden, unbequemen Fragen zu stellen und die notwendigen Verhaltensänderungen auch nur in Erwägung zu ziehen. Keine KI wird die Verantwortung übernehmen – dieses fromme Hoffen ist nur ein weiteres Symptom unserer kollektiven Verdrängung.
Das Menetekel an der Wand: Wir sind schon mittendrin
Die zunehmenden "Naturkatastrophen" sind keine Warnschüsse mehr. Sie sind das Ereignis selbst. Der Kollaps ist kein zukünftiges Datum in einem Kalender. Er ist ein Prozess, der längst begonnen hat und sich nun beschleunigt. Die Brände, die Fluten, die Dürren – das ist der Klang des Orchesters, das weiterspielt, während die Decks bereits brennen und das Schiff unaufhaltsam sinkt.
Was also tun? Aus dieser Perspektive gibt es keine einfachen Antworten, keine Fünf-Punkte-Pläne zur Rettung der Welt. Die Dynamik ist zu weit fortgeschritten, die Systeme zu träge, die menschliche Fähigkeit zur Verdrängung zu groß. Es geht vielleicht nur noch darum, hinzusehen. Die Illusionen zu durchschauen. Die Realität anzuerkennen, so düster sie auch sein mag. Und sich darauf vorzubereiten, was kommt – nicht mit naivem Optimismus, sondern mit dem klaren Blick desjenigen, der die Zeichen an der Wand gelesen hat. Das Schiff sinkt. Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wie wir persönlich mit dem unvermeidlichen Untergang umgehen.
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