Kopf in den Sand? Der unbequeme Blick auf Nord- und Ostsee.
Die Party ist vorbei. Wer räumt auf?
Seien wir ehrlich. Die Zeit für sanfte Worte, für beruhigende Grafiken und vage Versprechungen ist lange vorbei. Wir haben Jahrzehnte damit verbracht, die Augen zu verschließen, die Ohren zuzuhalten und so zu tun, als ginge uns das alles nichts an. Während wir diskutiert, gezögert und die Verantwortung hin- und hergeschoben haben, hat die Physik einfach weitergemacht. Unbeirrt. Unaufhaltsam.
Die globale Erwärmung, dieses von uns selbst angezettelte Fieber des Planeten, ist keine abstrakte Bedrohung mehr. Sie ist hier. Und eine ihrer brutalsten, unumkehrbarsten Folgen nagt bereits an unseren Küsten: Der Meeresspiegel steigt. Nicht irgendwann, nicht vielleicht. Sondern jetzt. Und er wird weiter steigen, schneller und schneller. Dies ist kein "Was-wäre-wenn"-Szenario mehr. Dies ist die Realität, die wir uns eingebrockt haben. Und wer glaubt, dass uns das an den Küsten von Nord- und Ostsee in den nächsten 25 Jahren nicht massiv betreffen wird, der hat den Schuss immer noch nicht gehört. Oder will ihn nicht hören.
Das Wasser kommt: Die nackten Zahlen einer Ansage
Vergesst Millimeter pro Jahr für einen Moment. Das klingt harmlos, wie ein tropfender Wasserhahn. Aber dieser Hahn wird gerade voll aufgedreht. Global hat sich der Anstieg bereits mehr als verdoppelt, Tendenz steigend. Was bedeutet das für unsere Haustür, für Nord- und Ostsee, bis etwa 2050 – also in den nächsten, lächerlich kurzen 25 Jahren?
Die Wissenschaftler, die wir so gerne ignorieren, sprechen von einem zusätzlichen Anstieg von 10 bis 25 Zentimetern als realistische Untergrenze. Manche Modelle deuten auf mehr hin. Das klingt immer noch nicht nach Weltuntergang? Dann stellt euch das vor: Jeder Zentimeter mehr ist wie ein Podest, auf das sich die nächste Sturmflut stellt. Jeder Zentimeter erhöht den Druck auf unsere Deiche, unsere Strände, unsere Lebensgrundlagen.
Und dieser Anstieg ist nur die "Basisrate". An der Nordsee kommt oft noch dazu, dass das Land selbst absackt. Ja, richtig gehört: Während das Wasser steigt, sinkt der Boden unter unseren Füßen – durch natürliche Prozesse, aber auch durch unser eigenes Zutun wie Grundwasserentnahme. Ein perverser Doppeleffekt. Die Nordsee, offen zum Atlantik, bekommt die volle Wucht des globalen Anstiegs ab, plus lokalen Bonus.
Die Ostsee, dieses Binnenmeer? Etwas träger vielleicht, durch die schmalen Zugänge zum Ozean. Im Norden hebt sich das Land sogar noch ein wenig, ein letztes Zucken der Eiszeit. Aber glaubt bloß nicht, das rettet uns hier im Süden. Dieser Hebungseffekt wird längst vom Klimawandel überrannt. Auch hier steigt das Wasser unaufhaltsam, und die flachen Küsten und Förden sind besonders verwundbar. Der kleine Bruder der Nordsee hat vielleicht etwas andere Symptome, aber die Krankheit ist dieselbe. Tödlich.
25 Jahre bis zur Kante: Was uns blüht (Spoiler: nichts Gutes)
10, 20, vielleicht 30 Zentimeter mehr bis Mitte des Jahrhunderts. Was bedeutet das wirklich? Es bedeutet, dass die Katastrophen, die wir heute als "Jahrhundertereignisse" bezeichnen, zur neuen Normalität werden.
Sturmfluten werden brutaler: Das ist der offensichtlichste Effekt. Die gleiche Windstärke drückt das Wasser viel höher als früher. Unsere Deiche? Gebaut für eine Vergangenheit, die es nicht mehr gibt. Sie werden öfter überspült, stärker belastet, irgendwann brechen. Die Bilder von überfluteten Küstenorten, von verzweifelten Menschen auf Dächern – gewöhnt euch dran. Das wird häufiger. Viel häufiger. Die Halligen in der Nordsee? Sie kämpfen schon jetzt ums Überleben. Bald wird es ein verlorener Kampf sein.
Die Küsten lösen sich auf: Höheres Wasser bedeutet stärkere Wellen, die unaufhaltsam an Stränden, Dünen und Steilküsten nagen. Sylt verliert jedes Jahr Land, die Kreidefelsen auf Rügen bröckeln, Strände an der Ostsee verschwinden. Was machen wir? Wir kippen Sand ins Meer – ein sündhaft teurer Versuch, das Unvermeidliche hinauszuzögern. Ein Kampf gegen Windmühlen, oder besser: gegen die anrollende See. Wir verlieren Land. Quadratkilometer für Quadratkilometer. Für immer.
Das Salz frisst sich ins Land: An flachen Küsten und in Flussmündungen drückt das Meerwasser immer weiter ins Landesinnere. Es versalzt unser Grundwasser, unsere Trinkwasserquellen. Es macht landwirtschaftliche Böden unbrauchbar. Stellt euch vor, ihr dreht den Hahn auf, und es kommt Brackwasser. Stellt euch vor, eure Felder verbrennen, weil der Boden vergiftet ist. Keine Science-Fiction, sondern die nahe Zukunft für viele küstennahe Regionen von Elbe bis Oder.
Das Hinterland ersäuft: Wenn draußen das Meer höher steht, wohin soll dann das Wasser aus dem Binnenland bei starkem Regen? Die Siele laufen nicht mehr ab, die Pumpen schaffen es nicht mehr oder nur mit immensem Energieaufwand. Küstennahe Niederungen, Marschland – sie werden zu dauerfeuchten Gebieten, zu Sümpfen. Städte und Dörfer, die dachten, sie wären sicher hinter dem Deich, werden von hinten überflutet.
Infrastruktur unter Wasser: Häfen, Kaimauern, Brücken, Straßen, Bahnlinien, Häuser – alles, was wir in trügerischer Sicherheit an die Küste gebaut haben, ist gefährdet. Es wird häufiger überflutet, unterspült, beschädigt. Die Kosten für Reparatur und Anpassung? Astronomisch. Und wer soll das bezahlen? Wir alle. Oder besser: unsere Kinder und Enkel, denen wir diesen Schlamassel hinterlassen.
Einzigartige Natur stirbt: Salzwiesen, Wattflächen, Boddenlandschaften – diese komplexen, wunderschönen Ökosysteme sind extrem empfindlich. Sie können mit einem langsamen Anstieg vielleicht mithalten, wenn sie Platz haben, sich landeinwärts zu verschieben. Aber der Anstieg wird zu schnell, und wir haben ihnen den Platz genommen, eingedeicht, bebaut. Also ertrinken sie. Mit ihnen verschwinden seltene Pflanzen, Vögel verlieren ihre Brutgebiete, Fische ihre Laichgründe. Ein unwiederbringlicher Verlust an Vielfalt und Schönheit. Aus Dummheit und Gier geopfert.
Der letzte, heisere Weckruf
Das ist keine Panikmache. Das ist die nüchterne, unbequeme Wahrheit, basierend auf den Daten, die wir seit Jahrzehnten haben und ignorieren. Die nächsten 25 Jahre sind keine ferne Zukunft. Sie sind der Zeitraum, in dem die Konsequenzen unseres Handelns – oder besser: Nichthandelns – unübersehbar und schmerzhaft werden.
Wir können jetzt noch so tun, als könnten wir das Problem mit ein paar höheren Deichen und ein bisschen Sandaufspülung "managen". Das ist Selbstbetrug. Eine Beruhigungspille für eine tödliche Krankheit. Ja, wir müssen uns anpassen, so gut es eben geht. Wir müssen retten, was zu retten ist, und uns vielleicht sogar von Orten zurückziehen, die nicht mehr zu halten sind. Das wird schmerzhaft und teuer.
Aber die eigentliche Ursache, die globale Erwärmung, läuft weiter. Und solange wir nicht endlich aufhören, diesen Planeten zu verheizen, als gäbe es kein Morgen, wird der Meeresspiegel weiter steigen. Nicht nur 10-25 Zentimeter, sondern Meter. Es ist nur eine Frage der Zeit.
Dies ist vielleicht der letzte Versuch, die Schlafwandler aufzurütteln. Die Frage ist nicht mehr ob die Flut kommt. Sie ist da und sie steigt. Die Frage ist: Wie schlimm lassen wir es werden? Wachen wir endlich auf und tun alles, was möglich ist, um die Erwärmung zu bremsen und die unvermeidlichen Folgen zumindest abzumildern? Oder schauen wir weiter weg, bis uns das Wasser buchstäblich bis zum Hals steht?
Denkt darüber nach. Wenn ihr das nächste Mal am Strand steht, schaut aufs Meer.
Es kommt.
Mein Dank geht an https://bsky.app/profile/kotzenderstern.breaks.news Kotzender🌟 von Bluesky, der mich auf dieses Thema aufmerksam gemacht hat.
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