Jenseits der Kohlenstoffsenke



Die biogeophysikalischen und biogeochemischen Treiber der Klimakatastrophe durch globale Entwaldung

1. Executive Summary: Die verborgenen Klimatreiber der Entwaldung

Die globale Entwaldung stellt eine der größten Herausforderungen für die Stabilität des Erdsystems dar. Während die Freisetzung von Kohlendioxid (CO₂) aus Biomasse und der Verlust der Kohlenstoffabsorptionskapazität allgemein bekannt sind, wird die Klimawirkung der Entwaldung durch eine Reihe weiterer, physikalischer (biogeophysikalischer) und chemischer (biogeochemischer) Mechanismen signifikant beschleunigt und lokal oft übertroffen. Diese sogenannten Nicht-CO₂-Effekte sind maßgeblich daran beteiligt, die globale Erwärmung voranzutreiben und Ökosysteme kritischen Kipppunkten näherzubringen.

Die zentralen wissenschaftlichen Befunde zeigen, dass Entwaldung in den Tropen aufgrund des dramatischen Verlusts der Evapotranspiration (ET) zu einer massiven lokalen Erwärmung führt, welche die mögliche Kühlung durch erhöhte Oberflächenreflexion (Albedo) deutlich übersteigt. Dieser hydroklimatische Effekt stört das atmosphärische Feuchtigkeitsrecycling, was insbesondere im Amazonasgebiet die Häufigkeit und Intensität von Dürren erhöht und das gesamte Ökosystem in Richtung Savannisierung treibt. Parallel dazu entfesselt die Zerstörung und Entwässerung kohlenstoffreicher Böden, insbesondere tropischer Moore, die Emission von hochpotenten, kurz- und mittelfristig wirkenden Nicht-CO₂-Treibhausgasen wie Methan (CH₄) und Lachgas (N₂O). Eine umfassende Strategie zur Klimastabilisierung muss diese komplexen, oft vernachlässigten biogeophysikalischen und biogeochemischen Treiber dringend in den Fokus rücken, da sie die Klimaresilienz der Erde massiv untergraben.

2. Einleitung und Kontextualisierung

2.1. Globale Bedeutung der Wälder im Klimasystem

Wälder spielen eine dreifache Schlüsselrolle bei der Regulierung des globalen Klimasystems, die über die reine CO₂-Speicherung hinausgeht. Erstens agieren sie über biogeochemische Prozesse als Kohlenstoffsenken, indem sie CO₂ aufnehmen und in Biomasse sowie Böden speichern. Zweitens beeinflussen sie über biogeophysikalische Prozesse den globalen und lokalen Energiehaushalt, insbesondere durch die Regulierung der Albedo (Reflexion) und der Evapotranspiration (latente Wärme). Drittens sind sie elementar für das Hydroklima, da sie durch Transpiration und Verdunstung den regionalen Wasserkreislauf maßgeblich stabilisieren.

Die massive, anthropogen getriebene Entwaldung hat diese fundamentalen Funktionen gestört. Zwischen 1990 und 2020 wurden weltweit etwa 420 Millionen Hektar Wald verloren, wobei der Nettoverlust bei 178 Millionen Hektar lag. Haupttreiber dieser Zerstörung, insbesondere in den feuchten Tropen (Afrika und Südamerika), ist die globale Nachfrage nach Agrarrohstoffen, darunter Palmöl, Soja und Rinderhaltung. Landnutzungsänderungen (Land Use, Land-Use Change and Forestry, LULUCF), zu denen die Entwaldung zählt, tragen derzeit schätzungsweise 12 bis 20 Prozent zu den globalen Treibhausgasemissionen bei.

2.2. Zielsetzung: Fokus auf nicht-biochemische Erwärmungsmechanismen

Die wissenschaftliche Analyse der Klimawirkung der Entwaldung darf nicht auf die Bilanzierung von CO₂-Emissionen beschränkt bleiben. Die biogeophysikalischen und biogeochemischen Effekte besitzen in erster Linie eine starke lokale und regionale Wirkung, sind aber auch global relevant, insbesondere weil sie positive Rückkopplungsschleifen im Klimasystem auslösen. Diese Nicht-CO₂-Mechanismen haben das Potenzial, die negativen Auswirkungen der Entwaldung massiv zu verstärken und dürfen in Klimaschutzstrategien nicht vernachlässigt werden. Die konventionelle, CO₂-zentrierte Metrik unterschätzt die tatsächliche klimatische Gefahr der Waldzerstörung, insbesondere in den tropischen Zonen, wo die größten Ökosysteme der Erde existieren.

3. Der Wandel der Wälder: Vom Kohlenstoffspeicher zur Emissionsquelle

3.1. Die verlorene Senkenkapazität: Globale Trends und regionale Beispiele

Traditionell agieren Wälder als essenzielle Kohlenstoffsenken, die anthropogenes CO₂ aus der Atmosphäre aufnehmen. Aktuelle Studien belegen jedoch, dass diese Kapazität durch die globale Erwärmung selbst und die dadurch verstärkten Störungen (wie Dürre, Waldbrände und Schädlingsbefall) dramatisch abnimmt.

In einigen Regionen hat sich dieser Trend bereits umgekehrt. Beispielsweise ist der Wald in Deutschland seit 2017 von einer Kohlenstoff-Senke zu einer Netto-Kohlenstoff-Quelle geworden. Der massive Verlust an lebender Biomasse, der durch extreme Ereignisse wie Stürme, Dürren und Borkenkäferbefall verursacht wird, übersteigt den jährlichen Zuwachs. Der Kohlenstoffvorrat im deutschen Wald hat sich seit 2017 um 41,5 Millionen Tonnen verringert.

Auch in den Tropen ist dieser kritische Wandel sichtbar. Teile des Amazonas-Regenwaldes, insbesondere im Südosten, geben aufgrund der Kombination aus Entwaldung und klimabedingten Veränderungen (wie Trockenheit) bereits mehr CO₂ ab, als sie aufnehmen, was sie zu Nettoquellen macht. Ähnliche Berichte liegen aus Australiens Regenwäldern vor, wo erhöhte Baumsterblichkeit durch Dürre und extreme Temperaturen die Emissionen über die Absorptionsfähigkeit steigen lässt. Darüber hinaus zeigen Untersuchungen in Malaysia, dass selbst nachwachsende Regenwälder bis zu zehn Jahre nach der Rodung Nettoquellen für Kohlenstoffemissionen sein können, da die Zersetzung von Totholz und organischer Bodenmaterie die Kohlenstoffbindung der jungen Vegetation übersteigt.

3.2. Die Limitation der CO₂-zentrierten Klimabilanzierung

Obwohl die Speicherung von CO₂ in Biomasse und langlebigen Holzprodukten eine wichtige Rolle im Klimaschutz spielen kann, ist die Gesamtbilanz des intakten Waldes oft klimawirksamer als die Substitutionswirkung durch Holznutzung. Der entscheidende Punkt ist, dass die Vernachlässigung der Nicht-CO₂-Effekte – der biogeophysikalischen und biogeochemischen Prozesse – zu einer gefährlichen Fehleinschätzung der globalen Klimawirkung der Entwaldung führt. Die folgenden Abschnitte beleuchten, warum die lokale und regionale Temperaturerhöhung durch physikalische Prozesse die direkten CO₂-Effekte in kritischen Zonen übertreffen kann.

4. Biogeophysikalische Rückkopplungen: Die Regulierung des Energiehaushalts

4.1. Einführung in Albedo und Evapotranspiration (ET) als Oberflächenprozesse

Die biogeophysikalischen Prozesse beschreiben, wie die Landoberfläche den Austausch von Energie, Wasser und Impuls mit der Atmosphäre beeinflusst. Nach einer Entwaldung treten hauptsächlich zwei konkurrierende Effekte auf, welche die lokale Oberflächentemperatur bestimmen: die Albedo und die Evapotranspiration (ET). Die Albedo beschreibt den Anteil der Sonnenstrahlung, der von der Oberfläche reflektiert wird, während die ET die kombinierte Verdunstung von Wasser aus dem Boden und die Transpiration von Pflanzen darstellt.

4.2. Die kühlende Macht der Evapotranspiration

Intakte Wälder, insbesondere tropische, speichern und recyceln enorme Mengen an Wasser. Durch den Prozess der Transpiration geben Bäume kontinuierlich Wasserdampf in die Atmosphäre ab. Dieser Übergang von flüssigem Wasser zu gasförmigem Dampf absorbiert große Mengen an Energie in Form von latenter Wärme. Die dafür notwendige Energie wird der Oberfläche entzogen, was einen starken, messbaren Kühleffekt bewirkt.

Wird der Wald gerodet, sinkt die ET-Effizienz drastisch. Die dunkelgrüne, feuchte und raue Oberfläche wird durch helleres, oft trockeneres Ackerland oder Grasland ersetzt. Die Energie, die vormals für die Verdunstung (latente Wärme) genutzt wurde, verbleibt nun als fühlbare Wärme an der Oberfläche, was zu einer signifikanten Erwärmung der lokalen Umgebung führt. Studien belegen, dass diese Kühlwirkung in tropischen Wäldern ganzjährig stark ist und ihr Verlust eine kritische Erwärmung zur Folge hat.

4.3. Der Albedo-Effekt: Reflektion von Sonnenstrahlung

Wälder, insbesondere dichte tropische oder boreale Nadelwälder, sind typischerweise dunkel (niedrige Albedo zwischen 0,05 und 0,18) und absorbieren daher einen Großteil der einfallenden Sonnenstrahlung. Nach der Rodung wird die Oberfläche heller. Landwirtschaftliche Felder, Savannen oder, im Norden, schneebedeckter Boden weisen eine höhere Albedo auf (bis zu 0,30 bzw. 0,90), was einen theoretisch kühlenden Effekt durch erhöhte Reflexion bewirkt.

Dieser Effekt ist besonders in den borealen Zonen (Taiga) relevant. Dort verdecken die dunklen Nadelbäume im Winter die darunter liegende Schneedecke. Wird der Wald entfernt, führt die hohe Albedo des freigelegten Schnees zu einer massiven Reflexion von Sonnenstrahlung, was lokal einen dominierenden Kühleffekt bewirkt.

4.4. Die Klimabilanz nach Breitengrad: Ein Wettbewerb der Effekte

Die Netto-Klimawirkung der Entwaldung ergibt sich aus dem Wettbewerb zwischen dem kühlenden Albedo-Effekt und dem wärmenden ET-Verlust. Dieses Gleichgewicht ist stark vom Breitengrad abhängig:

Tropische Zonen (Äquator bis ca. 30°N/S): Hier dominiert der ET-Verlust. Die ganzjährig hohe Verdunstung und die resultierende Kühlwirkung sind so stark, dass ihre Reduzierung nach Entwaldung die lokale Erwärmung massiv vorantreibt. Die Albedo-Zunahme ist relativ gering, da selten Schnee auftritt. Der Netto-Einfluss der Entwaldung ist in den Tropen eindeutig eine lokale Erwärmung.

Boreale Zonen (über 50°N): Hier dominiert der Albedo-Effekt, insbesondere durch die Schneebedeckung im Winter. Entwaldung führt hier netto zu einer Kühlung.

Global betrachtet resultiert die Entwaldung aufgrund der unterschiedlichen Effekte über alle Breitengrade hinweg in einer komplexen Bilanz. Modellstudien, die alle biogeophysikalischen Prozesse einbeziehen, kommen jedoch zu dem Schluss, dass der Netto-Einfluss der Entwaldung von 50°S bis 50°N – einem Gebiet, das den Großteil der Wälder umfasst – zu einer globalen Erwärmung führt. Dies liegt daran, dass der klimaschädigende Effekt des ET-Verlusts in den Tropen, wo die größten Verluste stattfinden, politisch und ökologisch am relevantesten ist. Die biophysikalischen Auswirkungen in den Tropen sind zudem so stark, dass sie die durch fossile CO₂-Emissionen verursachte positive Kohlenstoff-Klima-Rückkopplung übertreffen können.

5. Die Zerstörung des Hydroklimas: Entwaldung und der Wasserkreislauf

5.1. Atmosphärisches Feuchtigkeitsrecycling: Der Wald als Niederschlagserzeuger

Die hydroklimatischen Mechanismen stellen eine der kritischsten, nicht-CO₂-bezogenen Folgen der Entwaldung dar. Insbesondere in großen kontinentalen Wäldern wie dem Amazonas ist der Wald selbst maßgeblich an der Erzeugung seines eigenen Wetters beteiligt. Durch Evapotranspiration pumpen die Bäume große Mengen Wasser in die Atmosphäre. Dieses atmosphärische Feuchtigkeitsrecycling versorgt das Ökosystem mit einem Großteil der Niederschläge (im Amazonasbecken bis zu 50 Prozent) und stabilisiert das gesamte südamerikanische Hydroklima.

5.2. Gestörte Niederschlagsmuster und regionale Dürre

Die Rodung unterbricht diesen Kreislauf: Eine verminderte Transpiration führt zu einer geringeren Luftfeuchtigkeit und veränderten Niederschlagsmustern. Die Folge ist eine regionale Abnahme des Niederschlags und eine erhöhte Dürregefahr.

Die Störung dieses Wasserkreislaufs ist nicht auf die gerodete Fläche beschränkt, sondern breitet sich durch Fernwirkungen aus. Forschungen zeigen, dass der fehlende Regen das Wasserrecyclingvolumen im Amazonas stark reduziert, wodurch auch benachbarte, intakte Regionen unter Trockenheit leiden – der Schadenfaktor geht um den Faktor 1,3 über die unmittelbar betroffene Region hinaus.

Zusätzlich zu diesen atmosphärischen Störungen führt die Entwaldung zu weitreichenden hydroklimatischen Konsequenzen:

Erhöhter Oberflächenabfluss: Ohne die absorbierende Wirkung der Bäume fließt mehr Niederschlag an der Oberfläche ab, was Erosion verstärkt und die Sedimentablagerung in Gewässern erhöht.

Sinkende Grundwasserspiegel: Die Versickerung von Wasser in den Boden, die durch die Bäume unterstützt wird, nimmt ab, was zu niedrigeren Grundwasserspiegeln und einer verringerten Wasserversorgung führt.

Regionale Auswirkungen: Die Abholzung in Regionen wie Borneo trägt nachweislich zu trockeneren Bedingungen und vermehrten Waldbränden bei. Im Kongobecken hat die Rodung bereits zu einem Rückgang der Niederschläge und Flusspegel geführt.

5.3. Wolken-Rückkopplung: Indirekte biophysikalische Erwärmung

Neben den direkten Auswirkungen auf die Oberflächentemperatur beeinflusst die Entwaldung auch die Wolkenbildung in der Atmosphäre. Wälder haben eine hohe Oberflächenrauhigkeit und regulieren die turbulenten Wärmeflüsse. Rodung reduziert die Rauhigkeit und verändert die vertikale Feuchtigkeits- und Wärmeübertragung. Neuere Studien deuten darauf hin, dass Entwaldung lokal zu einer Abnahme der globalen Tiefwolken und tropischen Hochwolken führen kann.

Diese Wolkenreduktion wirkt ihrerseits erwärmend, da weniger Sonnenstrahlung von der Wolkendecke in den Weltraum reflektiert wird. Dies ist ein wichtiger indirekter Erwärmungsmechanismus, der den kühlenden Effekt der erhöhten Oberflächenalbedo teilweise aufhebt oder kompensiert. Schätzungen zeigen, dass dieser Wolken-Rückkopplungseffekt den Albedo-Kühleffekt um 26 bis 44 Prozent ausgleichen kann. Dieser Befund bestätigt und verstärkt die Schlussfolgerung, dass die Entwaldung in den Tropen durch die Dominanz wärmender biophysikalischer Prozesse (ET-Verlust, Wolkenverlust) ein starker lokaler Klimatreiber ist.

6. Kipppunkte und Systemkollaps: Das Beispiel des Amazonas

6.1. Die Doppelte Bedrohung: Globale Erwärmung und lokale Abholzung

Der Amazonas-Regenwald gilt als das größte und bekannteste Kippelement (Tipping Element) des terrestrischen Klimasystems. Seine Destabilisierung wird durch eine synergistische Kombination aus globaler Erwärmung – die zu häufigeren und schwereren Dürreperioden führt – und lokaler Entwaldung – die den internen Wasserkreislauf zerstört – vorangetrieben.

6.2. Der Mechanismus des Kippens: Verlust der hydroklimatischen Stabilität und Savannisierung

Der Schlüssel zum Kippen liegt im Verlust der hydroklimatischen Stabilität. Waldverluste stören die Kopplungsmechanismen zwischen dem Regenwald und der südamerikanischen Monsunzirkulation. Dies führt zu einem sich selbst verstärkenden Teufelskreis: Weniger Wald bedeutet weniger Wasserverdunstung und Transpiration, was weniger Regen zur Folge hat, was wiederum zum Absterben weiterer Bäume und somit zu noch weniger Wald führt.

Die kritische Folge ist die potenzielle Savannisierung des Amazonas: Beim Überschreiten des Kipppunktes könnten sich große Teile des Regenwaldes in einen savannenartigen Zustand verwandeln. Dies hätte nicht nur dramatische Auswirkungen auf die regionale Biodiversität, sondern würde auch einen massiven Kohlenstoff-Impuls freisetzen und das globale Klimasystem nachhaltig destabilisieren. Die Regionen an den südlichen Rändern des Waldes, die bereits unter starker Rodung leiden, sind am stärksten gefährdet.

6.3. Quantifizierung der kritischen Schwellenwerte

Die wissenschaftliche Gemeinschaft hat versucht, die Schwellenwerte für das Kippen des Amazonas zu quantifizieren, auch wenn die genaue Lage unsicher ist. Es existieren zwei Hauptschwellen:

Abholzungs-Schwellenwert: Es wird angenommen, dass der Kipppunkt des Feuchtigkeitstransports überschritten werden könnte, wenn 17 bis 19 Prozent der gesamten Amazonasfläche entwaldet sind.

Temperatur-Schwellenwert: Im Kontext der globalen Erwärmung wird der Kipppunkt zwischen 2°C und 6°C über dem vorindustriellen Niveau erwartet, da in diesem Temperaturbereich Dürreperioden zwei- bis viermal häufiger auftreten können.

Die durch Abholzung verursachte lokale Erwärmung und Austrocknung führt zudem zu einer positiven Kohlenstoff-Klima-Rückkopplung, die den Waldverlust über die direkte Rodung hinaus verstärkt. Im Amazonas wird der zusätzliche Verlust der verbleibenden oberirdischen Biomasse aufgrund dieser biophysikalischen Effekte auf 5,1±3,7 Prozent geschätzt. Es ist bemerkenswert, dass dieser positive Rückkopplungseffekt, der von der Entwaldung ausgeht, höher eingeschätzt wird als der Rückkopplungseffekt, der aus fossilen Emissionen resultiert.

7. Biogeochemische Gefahr: Freisetzung potenter Nicht-CO₂-Treibhausgase (GHGs)

7.1. Methan (CH₄) und Lachgas (N₂O) als hochwirksame Klimagase

Die Zerstörung von Waldökosystemen setzt nicht nur CO₂ frei, sondern auch Methan (CH₄) und Lachgas (N₂O). Beide Gase werden primär durch Prozesse in der Landwirtschaft und durch Landnutzungsänderungen emittiert. Diese Nicht-CO₂-Gase besitzen ein signifikant höheres Treibhauspotenzial (Global Warming Potential, GWP) als CO₂ über einen Zeitraum von 100 Jahren. CH₄ ist ein kurzlebiger, aber starker Klimatreiber, während N₂O zwar in geringeren Mengen, aber mit einem extrem hohen GWP und langer Verweildauer in der Atmosphäre freigesetzt wird.

7.2. Die Zerstörung von Waldböden und entwässerten Mooren (Torfböden)

Moore sind die weltweit wichtigsten terrestrischen Kohlenstoffspeicher. Obwohl sie nur einen kleinen Teil der Landfläche bedecken, speichern sie bis zu 550 Milliarden Tonnen Kohlenstoff, was 20 bis 30 Prozent des gesamten Bodenkohlenstoffs der Erde ausmacht. Im natürlichen, nassen Zustand sind Moore klimaneutral oder langfristige Senken, da der hohe Wasserspiegel die biologische Zersetzung organischer Substanz verhindert.

Die Rodung und anschließende Entwässerung dieser Moore, oft zur Schaffung von Landwirtschaftsflächen wie beispielsweise für Palmölplantagen in Indonesien, führt zu einer dramatischen Freisetzung von Treibhausgasen. Durch die Belüftung des Torfes erfolgt eine schnelle Mineralisation, die große Mengen CO₂, N₂O und CH₄ freisetzt. Entwässerte Moore sind nicht nur Quellen für Treibhausgase, sondern auch extrem anfällig für Brände, die zusätzliche Emissionen freisetzen.

Zudem fungieren intakte Waldböden in Mitteleuropa und anderswo als global bedeutsame Methansenken, da methanotrophe Bakterien dort Methan oxidieren und so aus der Atmosphäre entfernen. Die Zerstörung der Waldböden durch Rodung und Landnutzungsänderung eliminiert diese lebenswichtige Klimafunktion.

7.3. Emissionen durch Brandrodung: Ruß (Black Carbon) und Aerosole

Brandrodung, die häufig zur Umwandlung von Waldflächen in landwirtschaftliche Nutzung (Viehzucht oder Plantagen) eingesetzt wird, ist eine weitere Quelle akuter Erwärmung, die über CO₂ hinausgeht. Die Verbrennung setzt große Mengen an Ruß (Black Carbon, BC) frei. BC ist ein kurzlebiges, aber extrem stark erwärmendes Klimaagens, da es Sonnenstrahlung absorbiert.

Die Freisetzung von BC aus Waldbränden stellt eine akute Gefahr dar, insbesondere wenn der Ruß auf Schnee- oder Eisflächen abgelagert wird. Dies senkt die Albedo dieser Flächen drastisch und beschleunigt ihre Erwärmung und ihr Abschmelzen. Die Emission von CH₄ und BC durch die Entwaldung stellt somit eine kurzfristige, starke Erwärmungsforcierung dar, die die Erreichung der kurzfristigen Klimaziele gefährdet.

8. Erosion der Resilienz: Verlust der Biodiversität als Klimarisiko

8.1. Der Zusammenhang zwischen Artenvielfalt, Ökosystemstabilität und Klimaresilienz

Wälder beherbergen geschätzte zwei Drittel der biologischen Vielfalt der Erde. Der Verlust dieser Biodiversität ist eng mit dem Klimawandel verbunden und stellt einen eigenständigen Faktor für die Destabilisierung der Ökosysteme dar. Artenreiche und strukturell komplexe Ökosysteme wie Urwälder sind inhärent stabiler und widerstandsfähiger (resilienter) gegenüber Störungen. Urwälder speichern langfristig mehr Kohlenstoff als Wirtschaftswälder, da sie älter sind und mehr Kohlenstoff dauerhaft im Boden einlagern.

8.2. Positive Rückkopplungsschleifen: Entwaldung erhöht die Anfälligkeit

Die Entwaldung und die resultierende Fragmentierung der Wälder reduzieren die genetische und strukturelle Vielfalt. Dieser Verlust der Resilienz schafft eine positive Rückkopplungsschleife im Kontext des Klimawandels.

Wenn die Wälder aufgrund des Klimawandels zunehmend extremen Dürren, Stürmen oder Schädlingsbefall ausgesetzt sind, reagieren artenarme oder homogen bewirtschaftete Wälder (z.B. junge Bestände nach Kahlschlag) deutlich anfälliger. Die Schädigung dieser geschwächten Waldökosysteme beeinträchtigt die Fähigkeit zur Kohlenstoffbindung, die Wasserbewirtschaftung und die lokale Klimastabilität.

Die zunehmende Schädigung durch Klimafolgen führt zu weiterem Verlust an Biomasse, was die lokalen Klimabedingungen (Trockenheit, Hitze) verschlechtert und die Störungen weiter verstärkt. Diese Kaskadeneffekte beschleunigen den Übergang von einem stabilen Ökosystem zu einem degradierten Zustand, unabhängig davon, ob kurzfristige CO₂-Bilanzen ausgeglichen erscheinen.

9. Schlussfolgerung und Empfehlungen für eine ganzheitliche Klimapolitik

9.1. Fazit: Die Notwendigkeit der Integration von biogeophysikalischen und biogeochemischen Effekten

Die vorliegende Analyse unterstreicht, dass die Entwaldung weltweit eine der komplexesten und gefährlichsten Wechselwirkungen im Klimasystem darstellt, die weit über die unmittelbare Freisetzung von CO₂ hinausgeht. Die Entwaldung, insbesondere in den feuchten Tropen, muss primär als lokaler und regionaler Erwärmungstreiber verstanden werden, der durch den Verlust der Evapotranspiration und die Störung des Wasserkreislaufs (hydroklimatische Destabilisierung) wirkt.

Die Kombination aus biogeophysikalischer lokaler Erwärmung, der Freisetzung hochpotenter Nicht-CO₂-Gase (CH₄, N₂O) aus entwässerten Böden und dem Verlust der klimaresilienten Biodiversität erzeugt positive Rückkopplungen, die das globale Klimasystem kritischen Kipppunkten näherbringen. Die Vernachlässigung dieser nicht-strahlungsbedingten (nicht-CO₂) Effekte in Klimamodellen und Politikstrategien führt zu einer massiven Unterschätzung des tatsächlichen Klimarisikos der Entwaldung.

9.2. Strategische Empfehlungen: Beyond Carbon Accounting

Um die Klimakatastrophe abzuwenden und die ökologische Gesundheit des Planeten zu schützen, sind folgende strategische Maßnahmen erforderlich, die über die reine CO₂-Bilanzierung hinausgehen:

Stopp der tropischen Entwaldung: Angesichts der dominierenden lokalen Erwärmungseffekte des ET-Verlusts in den Tropen und der Nähe kritischer Kipppunkte (Amazonas), muss der vollständige und sofortige Stopp der Entwaldung in diesen Breitengraden höchste Priorität genießen. Ziel muss es sein, den Abholzungsgrad deutlich unter dem kritischen Schwellenwert von 17-19 Prozent zu halten.

Priorität der Moor-Renaturierung: Zur Bekämpfung der akuten Bedrohung durch Nicht-CO₂-Gase sind schnelle, gezielte Maßnahmen zur Wiedervernässung entwässerter Moore weltweit zwingend erforderlich. Dies ist die effektivste Methode, um die Freisetzung von CH₄ und N₂O zu stoppen und die Funktion der Moore als Kohlenstoffspeicher wiederherzustellen.

Förderung klimaresilienter Waldökosysteme: Um die Widerstandsfähigkeit der Wälder gegenüber den zunehmenden klimabedingten Störungen (Dürren, Stürme) zu erhöhen, ist die Umstellung auf eine klimaresiliente Waldwirtschaft notwendig. Dies beinhaltet die Förderung der strukturellen und genetischen Biodiversität, die Extensivierung der Holznutzung und den Schutz alter Bestände sowie der Waldböden, um ihre Funktion als Methansenken zu erhalten.

Nachbemerkung:

Diese Arbeit beruht auf dem Posting 'Die 40 wichtigsten Auswirkungen des Klimawandels' von Professor Eliot Jacobson (https://bsky.app/profile/climatecasino.net), für dessen unermüdliche Vorarbeit ich mich hiermit sehr herzlich bedanken möchte. 

https://climatecasino.net/2021/10/top-40-impacts-of-climate-change/


Quellenangaben

1. Landnutzungsänderungen - beim Klimanavigator, https://www.klimanavigator.eu/dossier/artikel/012040/index.php 

2. Die borealen Nadelwälder im Klimawandel - Hamburger Bildungsserver, https://bildungsserver.hamburg.de/resource/blob/756494/016b24832862f1059f5b5cae97876d8d/2015-boreale-nadelwaelder-data.pdf 

3. What is the role of deforestation in climate change and how can 'Reducing Emissions from Deforestation and Degradation' (REDD+) help? - LSE, https://www.lse.ac.uk/granthaminstitute/explainers/whats-redd-and-will-it-help-tackle-climate-change/ 

4. Freisetzung klimarelevanter Gase aus Böden - Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie, https://www.lbeg.niedersachsen.de/download/58176/Vortrag_7_Freisetzung_klimarelevanter_Gase_aus_Boeden.pdf 

5. The Unseen Effects of Deforestation: Biophysical Effects on Climate - Frontiers, https://www.frontiersin.org/journals/forests-and-global-change/articles/10.3389/ffgc.2022.756115/full 

6. Climatic Impact of Global-Scale Deforestation: Radiative versus Nonradiative Processes in, https://journals.ametsoc.org/view/journals/clim/23/1/2009jcli3102.1.xml 

7. Deforestation-induced climate change reduces carbon storage in remaining tropical forests, https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC9005651/ 

8. Älter, vielfältiger, aber keine CO₂-Senke mehr: So steht es um Deutschlands Wälder, https://www.thuenen.de/de/aelter-vielfaeltiger-weniger-speicher-so-steht-es-um-deutschlands-waelder 

9. Bundeswaldinventur: Deutscher Wald durch Klimakrise erheblich geschädigt - Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe, https://www.fnr.de/presse/pressemitteilungen/aktuelle-mitteilungen/aktuelle-nachricht/bundeswaldinventur-deutscher-wald-durch-klimakrise-erheblich-geschaedigt 

10. Nähert sich der Amazonas-Regenwald einem Kipppunkt? - Science Media Center Germany, https://www.sciencemediacenter.de/en/angebote/naehert-sich-der-amazonas-regenwald-einem-kipppunkt-23216 

11. Australiens Regenwälder geben mehr CO2 ab, als sie aufnehmen können - WEB.DE, https://web.de/magazine/wissen/klima/australiens-regenwaelder-co2-aufnehmen-41495932 

12. Nachwachsende Regenwälder sind keine Kohlenstoffsenke, https://sciencemediacenter.de/angebote/nachwachsende-regenwaelder-sind-keine-kohlenstoffsenke-23004 

13. • Biodiversität und Klimaschutz hängen eng zusammen. In Österreichs Wäldern werden die Risiken und Chancen beider Themen b, https://www.wwf.at/wp-content/uploads/2021/11/Zusammenfassung-Studie_Rolle_des_Waldes.pdf 

14. So beeinflusst die Abholzung von Wäldern das Klima - Wetter-Center.de, https://www.wetter-center.de/blog/so-beeinflusst-die-abholzung-von-waeldern-das-klima/ 

15. Climatic Impact of Global-Scale Deforestation: Radiative versus Nonradiative Processes - BORIS Portal, https://boris-portal.unibe.ch/bitstreams/7730761a-83a4-4256-98c0-893d3637cea8/download 

16. Flexi Antworten - Wie beeinflusst die Entwaldung den Wasserkreislauf? | CK-12 Foundation, https://www.ck12.org/flexi/de/geowissenschaften/der-wasserkreislauf/wie-beeinflusst-die-entwaldung-den-wasserkreislauf/ 

17. Deforestation and Its Effect on Surface Albedo and Weather Patterns - MDPI, https://www.mdpi.com/2071-1050/15/15/11531 

18. Albedo (einfach) – Klimawandel - Bildungsserver-Wiki, https://wiki.bildungsserver.de/klimawandel/index.php/Albedo_(einfach) 

19. Combined biogeophysical and biogeochemical effects of large-scale forest cover changes in the MPI earth system model - BG, https://bg.copernicus.org/articles/7/1383/2010/bg-7-1383-2010.pdf 

20. Radiative forcing of natural forest disturbances - Oregon State University, https://terraweb.forestry.oregonstate.edu/sites/terraweb/files/ohalloran_2011.pdf 

21. Weniger Regen im Wald: Amazonas-Gebiet noch weniger trockenresistent als angenommen - Potsdam Institute for Climate Impact Research, https://www.pik-potsdam.de/de/aktuelles/nachrichten/weniger-regen-im-wald-amazonas-gebiet-noch-weniger-trockenresistent-als-angenommen 

22. Amazonas-Kipppunkt: Weniger Monsun-Regen durch Entwaldung Potsdam Institut für Klimafolgenforschung - Celsius - der Blog von Scientists for Future Österreich, https://www.scientists4future.at/2023/10/06/amazonas-kipppunkt-weniger-monsun-regen-durch-entwaldung-potsdam-institut-fuer-klimafolgenforschung/ 

23. Abholzung reduziert Niederschlag im Amazonas-Regenwald - Max-Planck-Gesellschaft, https://www.mpg.de/25304180/amazonas-abholzung-klimawandel 

24. Die Geheimnisse der Regenfälle im Regenwald lüften: Fakten und Zahlen - Fund the Planet, https://fundtheplanet.net/de/amazonas-regenwald/enthuellung-der-geheimnisse-des-regenfalls-im-regenwald-fakten-und-zahlen/ 

25. Decreased cloud cover partially offsets the cooling effects of surface albedo change due to deforestation - PubMed Central, https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC11347566/ 

26. Der Amazonas vor dem Kollaps: Höchste Zeit zu handeln - WWF Deutschland, https://www.wwf.de/themen-projekte/projektregionen/amazonien/der-amazonas-vor-dem-kollaps 

27. Der Amazonas-Regenwald | Greenpeace, https://www.greenpeace.de/biodiversitaet/waelder/waelder-erde/amazonas-regenwald 

28. Lachgas und Methan | Umweltbundesamt, https://www.umweltbundesamt.de/themen/landwirtschaft/umweltbelastungen-der-landwirtschaft/lachgas-methan 

29. Treibhausgase aus der Tierhaltung | Klimafaktor Landwirtschaft - PETA, https://www.peta.de/themen/treibhausgase/ 

30. Klimaschutz durch Moorschutz in der Praxis - Thünen-Institut, https://www.thuenen.de/media/institute/ak/Projekte/moor/Klimaschutz_Moorschutz_Praxis_BMBF_vTI-Bericht_20110408.pdf 

31. Moore wandeln sich von Treibhausgassenken zu Treibhausgasquellen - Science Media Center, https://www.sciencemediacenter.de/angebote/moore-wandeln-sich-von-treibhausgassenken-zu-treibhausgasquellen-19124 

32. Schutz von Wäldern, Mooren und der Biodiversität | BMZ - Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, https://www.bmz.de/de/laender/indonesien/schwerpunkt-umweltschutz-13750 

33. Warum ver- schwindet das Treibhausgas Methan im Waldboden? - BayCEER, http://www.bayceer.uni-bayreuth.de/bayceer/de/top/dl/96563/spektrum_2011-1__66-69.pdf 

34. Wälder in hohen Breiten – Klimawandel - Bildungsserver-Wiki, https://wiki.bildungsserver.de/klimawandel/index.php/W%C3%A4lder_in_hohen_Breiten 

35. Biodiversität und Klima Ökosysteme stärken, dem Klimawandel begegnen - Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, https://www.bmz.de/de/themen/biodiversitaet/klimaschutz 

36. Waldsanierung nach klimabedingten Katastrophen - Climate-ADAPT, https://climate-adapt.eea.europa.eu/de/metadata/adaptation-options/forest-restoration-after-climate-related-disasters 

37. Biodiversität und Naturwälder - NW-FVA, https://www.nw-fva.de/erfassen/biodiversitaet-naturwaelder










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