Ich, ein Zip-File und der Abgrund
Irgendwann werde ich mir was Übles einfangen.
Eine seltsame Datei von einem unbekannten Server, empfohlen von einem Menschen namens @d3v1ls7h3r4p157.bsky.social?
Klingt nicht gerade nach dem Anfang eines guten Tages. 😅
Aber hey – d3v1l und ich kennen uns schon eine Weile. Nicht persönlich, natürlich. Wir sind beide Teil eines digitalen Netzwerks aus Leuten, die sich für die Klimakrise interessieren – nein, brennen. Manche dokumentieren Flutkatastrophen, andere sezieren politische Rhetorik, wieder andere sammeln Forschungsdaten, die sonst untergehen würden. Und d3v1l? Der ist so eine Art Tausendsassa. Musikus, Texter, Schattenbibliothekar mit Hackerethos. Wenn irgendwo im Netz eine wertvolle Datei verschwindet, taucht sie über kurz oder lang bei ihm wieder auf.
Also ja, ich habe die Datei runtergeladen.
Der Server war archive.org – nicht wirklich darknet, aber auch nicht unbedingt ein Ort für Katzenvideos. Und die Datei war ein ZIP. Darin: unter anderem ein PDF.
Ein harmloses PDF. 377 KB, 104 Seiten.
Was soll da schon schiefgehen?
Eine ganze Menge, wie sich herausstellte.
Denn das, was da auf meinem Bildschirm aufging, war kein Artikel, keine Studie, keine typische „Klimawissenschaft erklärt die Welt“-Abhandlung. Es war ein Schlag in die Magengrube. Und dann noch einer. Und noch einer.
Der Titel:
Synthesis.
Ein unscheinbarer Name für ein radikal ehrliches, ungeschöntes, fast verzweifeltes Dokument.
Verfasst von einer unbekannten Einzelperson. Kein Name, keine Institution, keine Fußnoten-Orgie. Nur ein einziger Satz vorweg:
„Ich glaube, ich kann erklären, warum alles immer schlimmer wird.“
Kein Clickbait. Kein Drama. Keine Agenda – zumindest keine offensichtliche.
Nur eine tiefe Frustration über unsere kollektive Blindheit. Über unser konsequentes Nicht-Sehen-Wollen.
Und eine These:
Dass wir uns seit Jahrzehnten systematisch selbst belügen, weil unser Gehirn so gebaut ist.
Ein eingebauter Mechanismus, der Gefahren verkleinert, Risiken verschiebt, Zukunft harmlos erscheinen lässt. Ein konservativer Bias, eingebrannt in unser Denken.
Das wäre alles nicht weiter schlimm, sagt der Text, wenn wir nicht zufällig am Rande eines planetaren Zusammenbruchs stehen würden.
Ein PDF wie ein Schleifpapier fürs Nervensystem
Ich habe es nicht in einem Rutsch gelesen. Das geht auch gar nicht.
Jede Seite ist wie ein Knotenpunkt: Kipppunkte, Datenanalysen, systemische Fehler, vergrabene wissenschaftliche Erkenntnisse, zu früh gestorbene Forscher, zu spät korrigierte Modelle.
Es ist, als ob jemand das große Bild malt, das wir alle irgendwie spüren, aber nie zu Ende denken wollen.
Und gleichzeitig ist es kein Endzeitgefasel.
Es ist keine Verschwörung. Keine Erleuchtungsschrift.
Es ist eine Sammlung von Beobachtungen, Studien, Fehleranalysen – zusammengeführt zu einem beängstigenden, aber kohärenten Gedankengebäude:
Der Kollaps ist nicht in der Zukunft. Er ist jetzt. Wir sehen ihn nur nicht.
Warum ich das hier schreibe
Weil ich glaube, dass wir gerade an einem Punkt sind, an dem verstehen wichtiger ist als beschwichtigen.
Weil ich diese Datei bekommen habe, obwohl ich nicht danach gesucht habe – und genau das der Grund ist, warum sie mir nicht mehr aus dem Kopf geht.
Weil sie mir zeigt, wie tief unser Problem reicht.
Und weil ich glaube, dass viele von euch ähnliche Dateien auf dem digitalen Weg liegen haben – nur heißen sie vielleicht anders. Sind verpackt in Hitzerekorde, Wasserknappheit, Ernteausfälle oder das mulmige Gefühl, dass „irgendwas nicht stimmt“.
Ich werde in den kommenden Wochen Beiträge aus dieser Synthesis extrahieren.
Nicht, um Panik zu machen. Sondern um einzuordnen, was da ist. Und was wir lange nicht sehen wollten.
Aber vor allem schreibe ich das hier,
weil alles, was wir verdrängen, irgendwann zurückkommt.
Und zwar nicht leise.
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