Gas vor Borkum: Wie viel Zerstörung darf Profit kosten?

Ich könnte kotzen. Wirklich.

Da sitzt also das deutsche Bundeskabinett zusammen, nickt ein Abkommen ab, und plötzlich soll das niederländische Unternehmen One-Dyas Gas vor Borkum fördern dürfen. Ja, es braucht noch ein Vertragsgesetz, Bundestag, Bundesrat, Genehmigungen in Niedersachsen. Aber das Signal ist klar: Wir sind offenbar immer noch bereit, fossile Projekte durchzuziehen, selbst wenn dafür ganze Meeresökosysteme geopfert werden.

Und ich frage mich: Wie ignorant kann man sein?

Nordsee: Europas Schatzkammer – und Spielball der Gier

Die Nordsee ist nicht irgendeine Badewanne vor unserer Haustür. Sie ist eine der größten Offshore-Gasregionen Europas. Milliarden an Wert stecken dort im Boden. Allein bis 2050 wird ihr wirtschaftlicher Beitrag auf 2,89 Billionen Euro geschätzt. Das schafft Jobs, sichert Staatseinnahmen, füttert Dividenden.

Aber hier kommt die bittere Wahrheit: Diese Gasförderung zerstört.

Jede Plattform, jede Bohrung, jeder Meter Pipeline frisst sich ins Meer wie ein Geschwür. Und während Politiker stolz von Versorgungssicherheit reden, zahlen andere die Rechnung: die Tiere, die Pflanzen, die Fischer, die Küstenregionen – und letztlich wir alle.

Gift für die Meere

Fangen wir bei den Basics an.

Gasförderung offshore heißt nicht einfach „ein Loch bohren und Gas rauslassen“. Es heißt: Produktion von hochgiftigem Produktionswasser.

Dieses Wasser enthält Chemikalien, die für Meereslebewesen giftig sind. Studien zeigen, dass schon geringe Konzentrationen Zelltod und Fortpflanzungsstörungen auslösen können. Und wir reden hier nicht von exotischen Tiefseewesen, sondern von Fischen, Muscheln, Krebsen – den Grundpfeilern des marinen Lebens, das auch unsere Teller füllt.

Doch das scheint egal zu sein. Solange das Gas fließt.

Der Meeresboden: Von Leben zu Wüste

Jede Bohrung bedeutet massive Eingriffe in den Meeresboden.

Es werden Anker gerammt. Röhren verlegt. Schallkanonen abgefeuert, um Gaslagerstätten zu finden. Das alles zerreißt die empfindlichen Lebensgemeinschaften am Grund: Schwämme, Seeanemonen, Kaltwasserkorallen – die Oasen der Artenvielfalt.

Und was bleibt? Eine Wüste.

Diese Flächen erholen sich oft jahrzehntelang nicht. Manche vielleicht nie. Aber klar: Das steht in keiner hübschen PR-Broschüre der Gasindustrie.

Der Lärm: Ein unsichtbarer Killer

Über den Lärm redet kaum jemand. Dabei ist er eine der schlimmsten Waffen, die wir gegen die Ozeane einsetzen.

Explorationsschiffe feuern Schallkanonen, deren Druckwellen so heftig sind, dass sie Kilometer weit hörbar sind. Sie können bei Meeressäugern – Walen, Delfinen, Schweinswalen – innere Blutungen auslösen, das Gehör zerstören oder sie aus ihren Lebensräumen vertreiben.

Fische fliehen panisch, Laichplätze werden verlassen, Nahrungsketten brechen zusammen.

Und wofür? Damit wir noch ein paar Jahre länger so tun können, als wäre fossiles Gas ein „Brückenenergie-Träger“.

Gas ist kein harmloser fossiler Brennstoff

Ich höre es schon: „Gas ist doch sauberer als Öl oder Kohle.“

Bullshit.

Ja, Gas verbrennt CO₂-ärmer als Kohle. Aber die Förderung und der Transport verursachen massive Methan-Leckagen – und Methan ist über 20 Jahre gerechnet mehr als 80-mal so klimaschädlich wie CO₂.

Ob Abfackeln, Entlüften oder Undichtigkeiten: Überall entweicht Gas, das unser Klima weiter anheizt.

Wir können nicht ernsthaft Klimaziele beschwören – und gleichzeitig neue Gasprojekte genehmigen. Das ist schizophren.

Gasförderung ist gefährlich – selbst ohne Öl

Und wer glaubt, Gasförderung sei sicher, sollte sich mal ein paar Unfälle anschauen. Hier ein paar Beispiele nur aus der Gasindustrie, kein Öl:

* Elgin-Plattform (Nordsee, 2012): Wochenlang strömte Gas aus, riesige Sperrzonen, Umweltkatastrophe nur knapp verhindert.

* Montara (Australien, 2009): Blowout auf einer Gasplattform, monatelanges Leck, gigantische Mengen Gas und Kondensat traten ins Meer aus.

* Piper Alpha (Nordsee, 1988): Zwar auch Ölplattform, aber die verheerende Explosion wurde durch ein Gasleck verursacht. 167 Tote.

Sicher? Nein. Sicher nicht. Und jede neue Plattform erhöht das Risiko.

Gesetze, die ignoriert werden

Natürlich gibt es Gesetze. OSPAR-Beschluss 98/3 zum Beispiel. Der soll helfen, Meeresboden und Ökosysteme zu schützen. Und was passiert? Deutschland unterschreibt ein Abkommen, das genau das Gegenteil tut.

Rund um Borkum liegt ein Natura-2000-Schutzgebiet. Dort brüten seltene Seevögel, dort leben Schweinswale, dort ziehen Fischschwärme. Und wir wollen dort Gas fördern?

Ich könnte wirklich ausflippen.

Arbeitsplätze? Ja. Aber zu welchem Preis?

Immer das gleiche Totschlag-Argument: Arbeitsplätze.

Ich verstehe jeden, der in der Gasindustrie arbeitet. Es geht um Existenzen. Aber es geht auch um die Existenz von Arten, Ökosystemen, von Küsten, vom Klima.

Wollen wir ernsthaft weiter Milliarden in eine Technologie pumpen, die bald ohnehin sterben muss? Oder stecken wir das Geld in Umschulungen, in neue Industrien, in Offshore-Windkraft, in Speichertechnologien?

Wir könnten Vorreiter sein. Stattdessen wollen wir ein Projekt durchwinken, das aus einer fossilen Epoche stammt.

Dieses Projekt darf nicht kommen! 

One-Dyas will Gas vor Borkum fördern. Die Bundesregierung spielt mit. Niedersachsen wird entscheiden müssen. Gerichte sind noch eingeschaltet.

Aber eines steht fest: Dieses Projekt gehört gestoppt.

Nicht, weil wir blind gegen alles Fossile wettern. Sondern weil es 2025 ist. Weil unser Planet brennt. Weil es keine Entschuldigung mehr gibt, fragile Meeresökosysteme für ein paar Jahre fossilen Profit zu opfern.

Weil es das pure Gegenteil von Klimaschutz ist.

Und weil es höchste Zeit ist, dass wir endlich verstehen:

Die Nordsee ist kein Industriegebiet. Sie ist ein lebendiges Meer, das wir retten müssen.

Was kannst du tun?

Schreib deinem Bundestagsabgeordneten. Frag, ob er oder sie diesem Irrsinn zustimmen wird.

Unterstütz NGOs, die gegen Offshore-Gas kämpfen.

Teile diesen Beitrag. Red darüber. Nerv deine Freunde damit.

Und frag dich bei jeder Gasheizung, bei jedem Gasherd: Brauch ich das noch? Oder geht’s auch anders?

Denn am Ende entscheiden wir alle, ob Borkum bleibt, was es ist: ein Paradies vor unserer Küste. Oder ein weiteres Mahnmal dafür, wie weit wir bereit sind, unsere Zukunft zu zerstören.




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